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Der Angeklagte: Hubert Zafke


Geboren ist Ernst Hubert Zafke am 26. September 1920 als Sohn eines Landwirts im pommerschen Schönau, das heute Drzonowo heißt und in Polen liegt. Er wuchs auf dem Bauernhof der Eltern auf, besuchte die Volksschule und eine Landwirtschaftsschule. Als die NSDAP in Deutschland die Macht übernahm, war Hubert Zafke 13 Jahre alt. Er trat der Hitler-Jugend bei, eiferte seinem großen Bruder nach und wurde, im Alter von 19 Jahren, Mitglied der Waffen-SS.

 

Von November 1940 bis Mai 1942 gehörte Hubert Zafke der SS-Division "Wiking" an (vgl. Hefte von Auschwitz, S. 343), die sich 1941 am Angriff auf die Sowjetunion beteiligte. Die Panzer-Division wird unter anderem für das Massaker von Zborów am 11. Juli 1941 verantwortlich gemacht, dem 600 Jüdinnen und Juden zum Opfer fielen. Für Zafke begann in der Einheit eine Laufbahn im Sanitätsdienst der SS: "Meine Aufgabe war es, die Verwundeten aus dem Graben zu bergen", berichtete er im Dezember 2015 dem Nordkurier. Nachdem sein Bruder im Januar 1942 tödlich verwundet worden war, habe ihn der Kompaniechef eine Woche in den "Heimaturlaub" geschickt. Als nunmehr einziger Sohn der Familie wurde er schließlich hinter der Front eingesetzt.

 

Staatsanwaltschaft: "Am Vernichtungsgeschehen teilgenommen"
 

An einer Sanitätsschule, die als Teil des SS-Übungslagers zum Lagerkomplex des Konzentrationslagers Dachau gehörte, machte Hubert Zafke eine Ausbildung zum SS-Sanitäter. In 6-monatigen Lehrgängen wurden Sanitätsschüler – so vermutlich auch Zafke – fachlich, ideologisch und militärisch geschult: Neben medizinischem Grundwissen gehörten zum Unterrichtsstoff etwa "Erbgesundheitslehre", "Rassenhygiene" und "Pistolenschießen".


Von November 1942 bis Oktober 1943 war Hubert Zafke als Sanitätsdienstgrad (SDG) in Neuengamme tätig (vgl. ebd.), anschließend wurde er nach Auschwitz-Birkenau versetzt. Als SS-Rottenführer hatte Zafke das Kommando über vier SS-Mannschaftsdienstgrade. Wie Zafke dem Nordkurier erklärte, wurde er in Auschwitz zunächst nicht im Sanitätsdienst eingesetzt: "Ich hatte doch gar keine solche Ausbildung. Ich habe an der Front doch nur Verwundete geborgen." Seine Aufgabe sei es lediglich gewesen, im Frauenlager "für Ordnung" zu sorgen: "Ich habe aufgepasst und ab und an mal gesagt, dass sie aufräumen sollen. Eigentlich gab es nicht viel zu tun." Ganz harmlos stellt er seine Tätigkeit dar, als wäre Auschwitz ein gewöhnlicher Arbeitsplatz und die SS eine Wohlfahrtsorganisation gewesen.

 

Wie die Staatsanwaltschaft dem NDR mitteilte, gab Hubert Zafke in einer Vernehmung an, durch SS-Leute von "unrechten Dingen" gehört zu haben. Doch er muss weitaus mehr gehört und gesehen haben: "Das Frauenlager grenzt an den Weg, auf den die Deportierten zu den Gaskammern geführt wurden. Auch die Krematorien waren zu sehen. Deren Betrieb ist ihm nicht verborgen geblieben, genauso wenig wie der Geruch nach verbranntem Fleisch", erklärte Oberstaatsanwalt Stefan Urbanek im Februar 2015 gegenüber dem Nordkurier. Laut Staatsanwaltschaft war Zafke zwischen Oktober 1943 und Januar 1944 in den Krankenstuben, den Ambulatorien, als Hilfskraft des Lagerarztes sowie im Häftlingskrankenbau des Frauenlagers eingesetzt. Zudem habe er als SS-Angehöriger die Häftlingsärzte beaufsichtigt und die Aufnahme und Entlassung von Häftlingen im Krankenrevier kontrolliert. Damit habe er "am Vernichtungsgeschehen teilgenommen".

 

Zafke behauptet, dass er als Sanitäter ausschließlich SS-Angehörige und Wehrmachtssoldaten versorgt habe. Die Verbrechen können ihm in dieser Funktion nicht verborgen geblieben sein. Zeitweilig, vermutlich bis Mai 1944, war er in der Krankenstube des SS-Reviers im Stammlager (Auschwitz I) eingesetzt (vgl. ebd). Dieses Revier befand sich unmittelbar an der Umzäunung des Häftlingslagers. Nur eine Straße trennte das Gebäude, in dem das KZ-Personal medizinisch versorgt wurde, vom gegenüberliegenden Krematorium I.


Im Erholungsheim der Massenmörder


Ab Mai 1944 war Hubert Zafke in der etwa 30 Kilometer von Auschwitz entfernten Solahütte bei Międzybrodzie Bialskie, die auch als SS-Hütte Porombka bezeichnet wurde (vgl. ebd). Dem KZ-Personal und Angehörigen diente sie als nahegelegenes Erholungsheim. Nach dem Bau der Hütte wurden einige männliche Häftlinge zu Aufräum- und Instandsetzungsarbeiten, weibliche Häftlinge als Bedienung eingesetzt. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde die Solahütte durch das "Auschwitz-Album", das 2006 in den Sammlungsbestand des United States Holocaust Memorial Museums aufgenommen wurde. Auf den zuvor unbekannten Fotografien von SS-Obersturmführer Karl-Friedrich Höcker sieht man die SS-Elite, darunter Lagerarzt Josef Mengele und die Kommandanten Rudolf Höß und Josef Kramer, unweit ihrer Todesfabriken fröhlich und ausgelassen feiern.

 

Zurück am Tatort: Auschwitz II


Im Juli 1944 wurde Hubert Zafke zum SS-Unterscharführer befördert (vgl. ebd). Vom 15. August bis zum 14. September 1944 gehörte er laut Ermittlungen als SS-Sanitätsdienstgrad der "Abteilung V", der SS-Sanitätsdienststaffel in Auschwitz-Birkenau an. Eingesetzt wurde er im SS-Lazarett. Währenddessen kamen im Lager 14 Deportationszüge an. Eine unbekannte Zahl an Menschen wurde unmittelbar nach der Ankunft auf der Rampe selektiert und, soweit sie als nicht "arbeitsfähig" galten, in Gaskammern ermordet.
 

Etwa 400 jüdische Frauen wurden am 26. September 1944 aus Auschwitz-Birkenau in das Außenlager Neustadt in Prudnik gebracht – mit ihnen kam auch Hubert Zafke in das neu eingerichtete Lager. Bewacht von einer 24-köpfigen SS-Besatzung, mussten die Häftlinge täglich Zwangsarbeit in der Textilfabrik Schlesische Feinweberei AG verrichten. Viele litten unter körperlicher wie physischer Erschöpfung und erkrankten. Im Durchschnitt waren 20 Häftlinge im Häftlingskrankenbau untergebracht oder erhielten Blockschonung. Mitte Januar wurden die Frauen per Fußmarsch in das KZ Groß-Rosen verbracht. Hubert Zafke kam ebenfalls nach Groß-Rosen, anschließend wiederum nach Sachsenhausen und Neuengamme (vgl. ebd.) – in einem überlieferten Dokument wird er geführt als "SS-Unterscharführer aus Ostpreussen, Häftlingsrevier KL Neuengamme".

Beihilfe zum Mord in 3.681 Fällen

Nach dem Krieg wurde Hubert Zafke von britischen Truppen in Schleswig-Holstein verhaftet und an Polen ausgeliefert. Er musste sich für seine SS-Mitgliedschaft vor Gericht verantworten und wurde am 10. März 1948 vom Kreisgericht in Krakau zu vier Jahren Haft verurteilt (vgl. ebd). Nach der Haftentlassung im Februar 1951 kam Hubert Zafke nach Gnevkow, einem kleinen Dorf zwischen Neubrandenburg und Demmin. Er heiratete und wurde Vater von vier Söhnen. In der DDR konnte er in einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) der Arbeit nachgehen und ein unauffälliges Leben führen. Das Ministerium für Staatssicherheit, so belegen Stasi-Unterlagen, war über seine Tätigkeiten in Auschwitz und anderen Konzentratsionslagern im Bilde. Er wurde auch den den Behörden vernommen, blieb aber unbehelligt.

 

Neuerliche Ermittlungen gegen Hubert Zafke kamen durch Voruntersuchungen der Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen zustande. Diese beziehen sich ausschließlich auf seine Dienstzeit in Auschwitz vom 15. August bis 14. September 1944, für die er sich nicht vor Gericht verantworten musste. Die Staatsanwaltschaft Schwerin wirft ihm vor, als Mitglied einer verbrecherischen Organisation den Lagerbetrieb und die Vernichtungsaktionen unterstützt zu haben – und sich so der Beihilfe zum Mord in mindestens 3.681 Fällen schuldig gemacht zu haben.

 

Hubert Zafke im Prozesssaal, 12. September 2016
Foto: Endstation Rechts

Luftaufnahme des KZ Dachau mit SS-Lazarett (2).
Foto: United States Holocaust Memorial Museum

Blick auf die Solahütte, vermutl. 1944.
Foto: United States Holocaust Memorial Museum

§ 78

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